"Yoga" am Klavier: Ein neues Spielgefühl beim Daumenuntersatz finden

Als Marlies heute Tonleitern in der Klavierstunde spielt, erzählt sie, dass ihr linker Daumen beim Spielen weh tut. Es ist zwar kein doller Schmerz, aber für mich ein Hinweis darauf, dass wir gleich mal zusammen schauen, wie Marlies ihre Spielbewegung so optimieren kann, dass sie ohne Schmerzen Klavier spielen kann.


Wir finden heraus, dass der Daumen sich immer beim "Daumenuntersatz" meldet. Das ist, wenn der Daumen unter die anderen Finger geschoben wird. Beim Daumenuntersatz ist wichtig, dass die Bewegung des Daumens in Übereinstimmung mit einer Armbewegung einher geht. Denn wenn der Arm unbeweglich bleibt, muss der Daumen unheimlich arbeiten, um sich aus eigener Kraft unter die anderen Finger zu schieben.


Im folgenden beschreibe ich, was wir in Marlies´ Stunde heraus gefunden haben, und du findest die Übung, die ich ihr gezeigt habe. Sie kann dir helfen, selbst heraus zu finden, wie du deinen Daumenuntersatz leicht, angenehm und präzise ausführen kannst.


An das eigentliche Problem "heran-tasten"....

Gerade wenn beim Klavierspielen Schmerzen entstehen, ist es wichtig, die Bewegung ganzheitlich zu betrachten. Selten ist es so, dass der Schmerz alleine an der Stelle entsteht, wo wir ihn wahrnehmen. Vielmehr ist der Schmerz häufig ein Hinweis darauf, dass an einer Stelle zu viel gearbeitet wird (dort, wo der Schmerz zu fühlen ist) und an einer anderen Stelle zu wenig Bewegung statt findet. Daher schaue ich mir immer den "ganzen" Menschen an: wie bewegt sich der ganze Körper beim Klavierspielen? Selbst wenn es "nur" um so eine kleine Bewegung wie den Daumenuntersatz geht: wie bewegt sich der Arm mit, die Schulter, ist der Rücken locker oder wird dort etwas fest gehalten? Sind die Beine gut auf dem Boden abgestützt?


Und dann geht es darum, dass mein Schüler lernt, selbst herauszufinden, wie es richtig geht. Er/Sie muss es selbst spüren können: wenn es leicht geht, ist er/sie auf dem richtigen Weg!


...mit "Fingerspitzengefühl"

Damit der Daumen nicht mehr weh tut, muss er lernen, sich beim Spielen zu entspannen. Daher ist es nicht allein damit getan, dass man Übungen mechanisch ausführt. Vielmehr vermittle ich in meinen Übungen so eine Art „Yoga am Klavier“.

 

Während sie spielt, spürt Marlies, ob sie ihre Muskeln entspannt, auch die des Armes, der Schulter und des Rückens. Sie kann auch beobachten, ob ihr Atem weich fließt, denn sobald der Atem angehalten wird, ist dies ein Zeichen dafür, dass auch die Muskeln irgendwo festhalten.

 

Diese Art des Übens führt nicht nur zu einem körperlich entspannten Spiel. Ganz ähnlich wie im Yoga ist es hier auch möglich, eine Verbindung zwischen Körper und Geist herzustellen.

 

Wenn das gelingt, dann finden wir einen Zugang zum Klavierspielen, der mehr bewirkt, als dass wir schmerzfrei spielen können: Als Klavierspieler wird alles leichter und entspannter. Und das überträgt sich auf die Zuhörer: finde ich die Verbindung zwischen mir, meinem Körper und meinem Instrument, dann „berührt" die Musik auf positive Weise. Es ist, als wenn sich die Entspannung und das Wohlgefühl, das wir erleben, durch einen Resonanzeffekt auch im Zuhörer mitteilt. Das tut nicht nur uns gut, sondern jedem, der mit unserer Musik "in Berührung" kommt.

 

Und das können wir sogar hier üben, an einem winzigen Stückchen Tonleiter.

 

Übung: "Gefühlter Daumenuntersatz"

Klappe den Klavierdeckel zu. Leg eine Hand darauf. Bewege deinen Daumen unter die Hand wie zum Daumenuntersatz. Lass den ganzen Daumen unter den anderen Fingern verschwinden.

Stell dir dabei einmal die ganzen kleinen Knöchelchen vor, die zusammen deine Hand bilden, stell dir vor, du könntest deine Hand wie unter einem Röntgengerät sehen. Nimm wahr, wie flexibel und genau abgestimmt sich alle Knochen bewegen, um deinen Daumen in die richtige Position für den Untersatz zu bringen. Vielleicht sind die Bewegungen der anderen Finger winzig klein, aber sie sind wahrnehmbar. Spür genau hin.


Du kannst kleine Variationen in den Weg deines Daumens einbauen: einmal bewegst du ihn ganz gerade zur Seite, einmal ein wenig nach oben, einmal ziehst du ihn nach unten zur Handwurzel. Wie verändert sich das Zusammenspiel der kleinen Knochen hierdurch?

Wenn du auch das Daumengrundgelenk  mit unter die Hand zu ziehen beginnst, kannst du spüren, dass die Bewegung sich von der Hand in den ganzen Arm fortsetzt. Die Drehung geht durch das Handgelenk in den Unterarm, dann wird der Ellenbogen nach außen geschoben und zieht den Oberarm mit sich. Dadurch verändert sich der Winkel des Arms zur Schulter.


Mache alle Bewegungen so langsam, dass du spüren kannst, wie es sich anfühlt: arbeiten alle Knochen zusammen, oder hältst du irgendwo fest?

 

Wenn du beobachtest, wie alle Knochen deiner Hand und des Armes zusammen arbeiten, kann sich dein Daumenuntersatz optimieren. Es ist, als wenn du deinem Arm die Erlaubnis gibst, deinen Daumen zu unterstützen. Er freut sich, mit in das Spiel der Knochen mit einbezogen zu werden. Er übernimt seine Aufgabe und gibt dem Daumen somit mehr Freiraum - und dieser kann ihn z.B. dafür nutzen, sich schneller, präziser und mit mehr Leichtigkeit zu bewegen.

 

 

 

Hast du eine Frage oder Rückmeldung zu dieser Übung? Vielleicht kann ich dir weiter helfen!  Dann schreib mir doch im Kommentar...die Fragen, die du hast, hat bestimmt auch noch irgendein anderer.