Neulich hatte ich ein Gespräch mit einer Schülermutter. Sie sagte zu mir, dass ihre Tochter an einem Klavierstück jetzt schon sechs Wochen üben würde, und ob ich der Tochter nicht mal aufgeben
könnte, das Stück einfach "fertig" zu üben.
Ich fand die Frage sehr nachvollziehbar. Denn meistens sehen wir Lernen dann als erfolgreich an, wenn das Endergebnis entsprechend fehlerfrei ist. So wie in der Schule: zu einem
bestimmten Thema wird eine Arbeit geschrieben, und je weniger Fehler du machst, desto besser ist (anscheinend) dein Lernen verlaufen.
Aber stimmt das auch so?
Wann ist Lernen eigentlich erfolgreich, und wie erreicht man dieses Ziel? Darüber möchte ich heute aus meiner Sicht etwas schreiben...
Wie wir Lernen meistens betrachten
Unser Bild vom erfolgreichen Lernen ist meistens sehr von der Schule geprägt: Es gibt ein bestimmtes Thema...und am Ende wird eine Klassenarbeit geschrieben, und aus der geht hervor, wie gut man
sich dieses Thema angeeignet hat.
Dabei wird wenig beachtet, welche äußeren, aber vor allem auch welche inneren Schritte dafür nötig sind, das Ziel zu erreichen.
Es wird der "äußerliche" Lernerfolg angeschaut, das, was messbar und vergleichbar ist.
Aber funktioniert so "wirkliches" Lernen?
Kann eine Schulzensur viel darüber aussagen, ob das Lernen erfolgreich war?
Was ich unter "wirklichem Lernen" verstehe
Während wir lernen, fragt das Gehirn danach: Wie viel SINN macht das, was ich gerade lerne? Nützt mir das für mein Leben? Das Gehirn fragt hingegen nicht danach, ob ich einen Lerninhalt
dem Lehrplan gemäß "richtig" aufgenommen habe. Das ist ihm schnurzpiepegal.
Das Gehirn bezieht den Lerninhalt stets auf den Lernenden: Wie viel Sinn macht es für ihn, ob ich mir jetzt die Lateinvokabel merke? Wie viel Sinn macht es, das Klavierstück zuende zu üben?
Und "wirkliches Lernen" sollte diesem Umstand Rechnung tragen. Die Kernfrage, die ich mir immer stelle, ist: Was lernt der Schüler gerade WIRKLICH? Und das hat manchmal scheinbar gar nicht so
viel damit zu tun, ob er das Stück in der nächsten Stunde fehlerfrei spielen kann oder nicht.
Auf die Ausgangsfrage meiner Schülermutter bezogen heisst dies: Ich habe ihr erklärt, dass der WIRKLICHE Lernprozess meiner kleinen Schülerin noch ein bisschen Zeit erfordert. Denn auf
der inneren Lernebene passierte gerade etwas ganz Spannendes!
Warum tiefgreifende Lernprozesse Zeit brauchen
Meistens betrachten wir Lernen als etwas Lineares: Man beschäftigt sich mit einem bestimmten Inhalt, und am Ende hat man ihn (mehr oder weniger) verstanden und kann ihn
umsetzen.
Aber gerade bei so einer komplexen Tätigkeit wie dem Klavierspielen kann man gut nachvollziehen, das Lernen ein ganzheitlicher, nicht-linearer Vorgang ist: viele Dinge müssen wir
während des Klavierspielens gleichzeitig machen: zwei Hände koordinieren, die sich unterschiedlich bewegen; Noten lesen und sie zeitgleich mit den Fingern auf den Tasten
umsetzen; alles in einem vorgegebenen Rhythmus tun - nicht zu früh und nicht zu spät; die Bewegungen des Körpers anpassen an den musikalischen Ausdruck.... und so weiter und so
fort.
Das alles muss sich aufeinander abstimmen. Und damit dies gelingen kann, braucht unser Nervensystem vor allem eines: ZEIT.
Wenn ich als Lehrer zu früh in diesen Prozess eingreifen würde, dann könnte meine Schülerin das Stück vielleicht nach einer Woche fehlerfrei spielen. Aber ich hätte sie um die Erfahrung
gebracht, dass ihr Nervensstem VON ALLEINE heraus gefunden hätte, wie es geht.
Auf eine "WIRKLICHE" Lernerfahrung kann der Schüler jederzeit wieder zurück greifen, weil sie sich tief im Gehirn verankern konnte. Eine "oberflächliche" Lernerfahrung à la "Nächste Woche
muss ich das aber fertig haben" bucht das Gehirn hingegen ab unter TOTAL IRRELEVANT FÜR MICH. Denn es macht für das Gehirn keinen Sinn. Das Lernziel war von außen vorgegeben und ist nicht im
Inneren reif geworden.
Die gute NAchricht
Das klingt jetzt vielleicht total kompliziert, was ich da beschrieben habe. Oder?
Das Tolle ist aber (und das ist die gute Nachricht dabei): Lernen funktioniert ganz von alleine!
Es ist so wie mit dem Leben selbst: wenn man es erklären will, wird es total kompliziert.
Und doch.. passiert es eben einfach.
Ganz von alleine.
Wir müssen es nur lassen... ;-)
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