David ist höchst konzentriert. Er sitzt mit den dicken Kopfhörern über den Ohren auf dem Klavierhocker und lauscht. Wir haben gerade eine Aufnahme gemacht von dem Lied, das David zuhause geübt
hat und welches wir jetzt zusammen auf dem Klavier gespielt haben. Vierhändig. Ohne Fehler.
Dass David sich so toll konzentriert, ist nicht immer gegeben. Manchmal fällt es ihm einfach schwer, bei der Sache zu bleiben und sich auf die Musik einzulassen. Dann fängt er an, vom Stuhl
aufzuspringen oder beschwert sich, dass das alles viiiiiiel zu schwer für ihn ist.
Doch in der Klavierstunde macht David eine besondere Erfahrung, die ihm gut tut und einfach ganz dolle Spaß macht. Und diese Erfahrung nimmt David auch mit nach Hause...
Wenn das Lernen einfach nicht klappt
David ist eines der vielen Kinder, denen es heute schwer fällt, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Einige dieser Kinder werden mit Aufmerksamkeits-Störungen diagnostiziert wie AD(H)S, und oftmals werden den Kindern sogar Medikamente verabreicht, damit sie in der Schule ruhiger sind und beim Schulstoff mitkommen.
Doch es gibt mittlerweile auch eine große Grauzone: ich beobachte, dass die "Zappeligkeit" bei den Kindern in den letzten Jahren allgemein stark zugenommen hat! Ruhig sitzen bleiben, sich konzentrieren, sich ausdauernd mit einer Sache beschäftigen - das fällt vielen mittlerweile schwer.
Doch wie können wir diesen Kindern helfen? Wie können wir sie unterstützen, dass sie diese Hürde überwinden, die sie oftmals davon abhält, besondere, schöne, beglückende Erfahrungen zu
machen - nur weil die Aufmerksamkeitsspanne bereits nach wenigen Momenten wieder abreißt?
Wie können wir den Kindern die Erfahrung ermöglichen, dass Lernen Spaß macht - und ihnen dadurch den Weg ebnen, sich ihre Welt neugierig und mit Begeisterung zu
erschließen?
Wie die Begeisterung geweckt wird
Lernen klappt immer unter einer ganz bestimmten Bedingung. Dann nämlich, wenn die Begeisterung geweckt ist. Wenn der Funke übergesprungen ist. Wenn das Kind merkt: Wow, es lohnt sich für mich,
dran zu bleiben, weil es einfach so spannend ist, so interessant, weil ich so viel Neues entdecke! Über meine Welt! Über mich selbst!
Dann klappt Lernen. Ganz einfach. Ganz leicht. Ohne Druck, ohne Zwang, ohne Frust.
Oftmals wird den Kindern nicht mehr die Möglichkeit gegeben, dass sie sich ihre Welt über ihre eigenen Interessen erschließen. Da MUSS genauso gelernt werden, wie der Lehrer sagt. Da MÜSSEN so
viele Hausaufgaben gemacht werden, dass der Kopf oftmals weh tut, schon bei den Grundschülern. Da MUSS still gesessen werden, ganz gegen das Bedürfnis des Kindes, zwischendurch mal aufzustehen
und einfach nur durch zu atmen.
Doch das kann auf Dauer nicht funktionieren! Und dann werden die Kinder eben zappelig und unkonzentriert.
Deshalb gehe ich mit meinen Schülern im Klavierunterricht einen anderen Weg. Ich nehme jeden Schüler aufmerksam wahr: wo steht er gerade? Was braucht er jetzt?
Ist Ruhe angesagt? Oder Bewegung? Ist der Kopf frei für neuen Lernstoff? Oder müssen wir vielleicht erst einmal etwas "Platz schaffen" und eine Runde tanzen, hüpfen oder auch mal laut rufen,
quietschen und schreien?
Spielerisch lernen
Das alles hat ganz viel mit Klavier spielen zu tun, auch wenn es erstmal vielleicht nicht so aussieht. Und so sind wir schon mittendrin im Lernen.
Für das Kind fühlt es sich oft so an wie "Spielen". Und genau das ist richtig so.
Denn Kinder lernen über´s Spielen. Über´s Ausprobieren. Einfach machen.
Dadurch erschließen sich den Kindern die Zusammenhänge, die wir als Lehrer oftmals ganz theoretisch und praxisfern vermitteln wollen. Aber das braucht es gar nicht!
Im Spielen entsteht eine Verbindung. Das Kind probiert etwas aus. Und weil es weiter machen möchte mit dem Spiel, bleibt es dran. Findet einen neuen Zusammenhang. Einen neuen
Weg.
David hat lange Zeit nicht verstehen können, warum er seine Hausaufgabe nochmal im Klavierunterricht vorspielen soll. "Hab ich TAUUUUUSEND Mal zuhause gemacht!", sagte er dann. Doch eines Tages hat er das Aufnahmegerät bei mir im Regal entdeckt. Und wollte es unbedingt zum Einsatz bringen.
Da habe ich ihm erklärt, dass es nur Sinn macht, eine Aufnahme zu machen, wenn man das Stück richtig und fehlerfrei spielen kann! Und wir haben es ausprobiert.
Seitdem ist es kein Problem mehr, dass wir in der Stunde konzentriert darauf hinarbeiten, eine fehlerfreie Aufnahme hinzukriegen.
Und wenn wir dafür noch zehn Mal das Stück üben müssen!
Die Aufnahme muss eben stimmen!
Das findet David auch.
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